Der Tag beginnt heute mit einem mäßig ordentlichen Frühstück in der Auberge La Safran, wir sind durch die letzten Unterkünften sehr verwöhnt. Es geht heute hinunter aus dem Atlas Richtung Agadir an die Küste. Wir müssen Strecke machen, damit wir den Rallyetross spätestens am Pflichttreffpunkt in Al-Dakhlar in der Westsahara wieder einholen.
Ich habe das Roadbook nicht sooo aufmerksam gelesen, aber vor uns liegen 1.500 Kilometer in zwei Tagen. Das ist gut zu schaffen, wenn Sir Lawrence bei guter Laune bleibt. Wir sind heute eher spät dran, 09.45 Uhr gehen wir auf die gut ausgebaute Straße, heute fahre ich den Tag über.
Die Landschaft wird nach und nach wieder fruchtbarer. Wir fahren zunächst durch Oasen mit schier unendlich vielen Dattelpalmen (die schon abgeerntet scheinen), dann kommen Oliverhaine und weithin sichtbar leuchtende Orangenplantagen. Die Olivenhaine faszinieren mich. In den alten Plantagen stehen dicke, wohl viele Jahrzehnte alte knorrige Olivenbäume durcheinander, in den jungen Plantagen sind die Bäume in Reih‘ und Glied geordnet.
Kommissar Zufall hat heute scheinbar Pause, entlang des Weges passiert den Tag über nicht viel. Wir hängen unseren Gedanken nach und lassen Landschaft, Dörfer und Menschen an uns vorüberziehen. Bald ist Cord eingeschlafen. Etwas Zeit, um ein paar Beobachtungen und Eindrücke einzusammeln.
Die Bevölkerung hier ist echt jung. Man sieht ein paar Alte, einige aus der Elterngeneration. Aber die Mehrheit der Menschen, die wir sehen, ist unglaublich jung. Überall, in jeder Stadt, in jedem Ort gibt es Kinder über Kinder. Pele – ich erzählte vorgestern von ihm – berichtete uns, dass eigentlich jede Familie zwischen vier und sechs Kindern hat. So ist es nicht verwunderlich, dass in vielen Orten, in denen wir vorbeikommen die Bevölkerung stark wächst und deshalb jede Menge Baugebiete ausgewiesen sind. Auch hier, im Südwesten des Atlasgebirges.
Die Städte und Dörfer sind sehr unterschiedlich entwickelt. Manche sind eher ärmlich, Lehmhütten und Schotterstrassen prägen das Bild. Anderen Orten sieht man den Wohlstand allein dadurch an, dass die Strassen geteert und die Häuser frisch gestrichen sind. Moscheen fallen hier nicht so sehr in’s Auge, dass haben wir in der Türkei und im Iran anders erlebt. Hier sind die muslimischen Gotteshäuser eher bescheiden und unscheinbar.
Das Frühstück war nicht so üppig, deswegen halten wir nachmittags in einem Truckerimbiss. Dieser Begriff wird dem Restaurant tatsächlich in keiner Weise gerecht, denn eigentlich ist es eine Schlachterei mit angeschlossenem Grillrestaurant. Nur sitzen eben viele LKW-Fahrer an den schlichten Tischen. Damit ist klar, dass es hier gutes Essen in ausreichenden Portionen geben wird. Dieses Versprechen wird eingelöst. Wir bekommen eine riesige Portion gegrilltes Mett mit Zwiebeln und Tomaten, dazu Brot und frischen Salat. Unglaublich lecker. Das Mett habe ich frisch aus dem Fleischwolf kommen sehen, gutes Lammfleisch. Die Tomaten und Zwiebeln hat der Grillmeister in unglaublicher Geschwindigkeit vor meinen Augen zerteilt.
Nach dem Essen haben wir dann noch einen kleinen Jungen glücklich gemacht. Eines unserer Projekte auf der Reise: Kindern auf der Straße einen Fußball schenken. Wir haben ein Duzend Bälle am Start. Einen davon bekommt ein Junge auf der Straße vor der Grillstation. Er und sein Vater freuen sich riesig und ihre Augen glänzen. Dieses kleine Projekt ist wirklich großartig und soo einfach. Mal sehen, wann sich in den nächsten Tagen dazu noch einmal die Gelegenheit ergibt. Mindestens fünf Bälle wollen wir übrig behalten und Doc Sol in der HealthPost mitbringen.
Die Landschaft gleitet an uns vorbei als gegen Abend Kommissar Zufall doch noch zuschlägt. Kurz vor Tarfaya, unserem heutigen Etappenziel, haben wir gleich noch zwei coole Erlebnisse. Als erstes sehen wir die Fähre nach Fuerteventura. Das ist deshalb ulkig, weil diese Fähre seit etwa 15 Jahren nicht mehr fährt. Vor uns liegt das gestrandete Wrack der ARMAS, die ehemalige Fähre auf die Kanareninsel. Die Drohne macht ein paar herrliche Nahaufnahmen.
Der nächste Knüller ist, dass wir an einem Kreisel eine falsche Ausfahrt nehmen und ungewollt durch eine Absperrung fahren. Plötzlich stehen wir auf einer frisch geteerten, noch nicht eröffneten Umgehungsstraße. ‚Vorwärts immer, rückwärts nimmer‘ – gemäß Honeckers Ausspruch fahren wir drauflos. Die Straße windet sich in weitem Bogen über Berge hinab an die Küste und wir sind völlig allein. Es ist gerade kurz vor Sonnenuntergang, die Berge um uns leuchten, das glitzernde Meer vor uns, die passende atmosphärische Musik laut – und so fliegen wir mit fullspeed über die Piste dem roten Feuerball entgegen. Sehr, sehr, sehr eindrucksvoll.
Es kommt ein Anruf von Kate und Mike: Unfassbar lustig, denn Markus (Schorn) hat die ihm bis zu diesem Moment Unbekannten Kate und Mike aufgegabelt und sie nach dem Team Südheide gefragt. Dass die mit uns am Vortrag in der Wüste waren konnte er natürlich nicht wissen. Wir verabreden uns für den nächsten Tag, wenn sie es schaffen uns einzuholen.
Kurz vor unserem heutigen Zielort Tarfaya meldet sich Sir Lawrence zu Wort: Der Keilriemen quengelt. Da kommt mir ein Zitat meines Rallyekumpanen Carsten in den Sinn: „Wenn es Geräusche macht, dann ist noch da“. Immerhin!
In Tarfaya angekommen forscht Cord noch nach den Ursachen der Quengelei. Nicht, dass wir morgen noch eine Damenstrumpfhose als Ersatzteil auftreiben müssen. Wir haben Nachmittags gut gegessen, deshalb reichen zwei Gläser Rotwein als Abendversorgung.
Strecke: ~540 Kilometer entlang der Küste
Wetter: Morgens im Atlas noch kalt, nachmittags schon brüllend heiß
Team: Entspannt, aber nach der Quengelei nachdenklich
Sir Lawrence: Der Keilriemen fängt an zu quieken